Probleme mit dem musikalischen Nachwuchs ?

Die Musikvereine sind in den letzten Jahren mit einem drastischen Mitgliederschwund konfrontiert. Einerseits hören viele Musikanten aus den mitgliederstarken Jahrgängen der 80er und 90er Jahre altershalber auf und andererseits fehlt es an Nachwuchskräften, die die entstandenen Lücken ausfüllen sollen.

Doch woran liegt das ...?

Genannt werden hier die "üblichen Verdächtigen" wie Handy, Computerspiele und ein Überangebot an Freizeitmöglichkeiten. Nicht selten gibt es vor Ort ein hohes Angebot an Jugendarbeit betreibenden Organisationen, die in Konkurrenz zu den Musikvereinen stehen. Nicht zuletzt wird noch der "demografische Faktor" vorgeschoben  -  es sind einfach weniger Jugendliche da!

Die Musikvereine und die Blasmusikverbände bemühen sich mit vielseitigen Bildungs- und Freizeitangeboten dem Abwärtstrend entgegen zu steuern. Da gibt es Kooperationen mit den Schulen (Bläserklassen), und die Vereine schicken ihren musikalischen Nachwuchs zur Ausbildung an die Musikschulen, soweit sie für die Vereine erreichbar sind. Hüttenaufenthalte und sonstige Freizeitmaßnamen werden angeboten und die Blasmusik Kreis- und Landesverbände bemühen sich mit einem breit angelegten Bildungsangebot ....

... und trotzdem, eine Trendwende ist nicht zu erkennen !

Ich möchte daher den Blick auf eine "Bruchstelle" (wie ich dies nenne) in der praktischen Ausbildung lenken, die in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet und dennoch auf lange Sicht in der Lage ist, die Musikvereine zu Fall zu bringen.

Damit man die Zusammenhänge richtig versteht, muss man die Entwicklung der Instrumentalen (Jugend-)Ausbildung in den Vereinen von Anfang an betrachten.

In den 1960er Jahren wurde der Instrumentalunterricht in den Vereinen meistens ehrenamtlich von aktiven Musikern erteilt. Darüber hinaus wurde in der Regel durch nebenberufliche Ausbilder unterrichtet, weil es damals noch nicht so viele hauptberufliche Lehrkräfte mit Hochschulstudium gab. Gängige Praxis war es da, dass jeder Lehrer die Messlatte für die Beurteilung eines Schülers unterschiedlich ausgelegt hat. Hat ein Schüler den (subjektiven) Ansprüchen des Lehrers genügt, so war er fleißig, begabt und musikalisch! Wenn nicht, so war er eben faul, unbegabt und unmusikalisch. Vor allem letztere Einschätzung hat bei den Betroffenen großen Schaden angerichtet, weil es erstens nicht stimmt  -  und zweitens durch derartige "Abstempelung" der Weg zum Musizieren endgültig versperrt war. Auf pädagogische Gesichtspunkte wurde damals ebenso wenig geachtet wie auf altersbedingte Probleme eines Jugendlichen.

Die Musikschulen

Durch die Gründung der Musikschulen ab der Mitte der 70er Jahren änderte sich die Situation grundlegend. Die "Messlatte" wurde abgeschafft und hauptamtliche Musiklehrer mit Pädagogigstudium übernahmen die Ausbildung. War bisher das Erlernen eines Instrumentes das ausschließliche Ausbildungsziel, so wurde das ergänzt durch die Beschäftigung mit einem Musikinstrument, was nicht unbedingt das Erlernen zum Ziel hat. Was für unsere Gesellschaft ein Segen darstellt  - fallen doch die oben genannten (negativen) Beurteilungen weg  -  ist aber für die Ausbildung zum Orchester fatal!

Die Ausbildung

Wer in einem Blasorchester mitspielen will, braucht eine fundierte Ausbildung mit dem Spiel nach Noten, Tonarten und Taktarten, passend zum jeweiligen Instrument. Da ist die reine Beschäftigung mit dem Instrument wenig hilfreich. Wenn man 3 Jahre braucht, um "Hänschen klein" spielen zu können, kann man in einem Blasorchester wenig damit anfangen und dies führt auch nicht dazu, die Lücken in den Registern dauerhaft auszufüllen! Dazu kommt, dass die Blasorchesterliteratur an weltweite Standards angepasst ist und sich die Anforderungen an die (Amateur-) Musiker in den letzten Jahrzehnten stetig erhöht haben. Dies bemerkt man selbst bei der Literatur für Jugendorchester, wo bei Musikstücken  6 b Vorzeichen bei Flöten, Oboen und Bassschlüsselinstrumenten in C  keine Seltenheit sind. Unregelmäßige Taktarten, wie 5er-, 7er- oder 10er Takte tauchen schon in der Mittelstufenliteratur auf. Mit Musikanten auf  "Hänschen klein - Niveau"  funktioniert das nicht.

Die Folge: viele Jugendliche erscheinen nach ihrer Ausbildung nicht mehr im Musikverein. Mittlerweile ist die Zeit der starken Jahrgänge vorbei und der Nachwuchs muss aus einer viel kleineren Menge Jugendlicher rekrutiert werden. Das funktioniert nur bei den Vereinen, die bisher schon effektiv mit weniger Schülern gearbeitet haben. Dort gibt es auch in der Regel keine Nachwuchsprobleme!

So mancher Musikverein gibt die Schuld an der Nachwuchsmisere den Musikschulen. Das ist aber nicht richtig. Die Musikschulen tun das, wozu sie in unserer Gesellschaft beauftragt sind  -   nämlich den Kindern und Jugendlichen die Musik nahe zu bringen, auch wenn damit nicht unbedingt ein bestimmtes Ziel verbunden ist. Das ist für unsere Gemeinschaft sehr wichtig und oft auch gar nicht so leicht zu bewältigen. Hier muss man den Musiklehrern an den Musikschulen große Hochachtung zollen, dass sie das so hinbekommen!

Die Bruchstelle

Der Fehler liegt woanders. Die Musikvereine schicken ihren musikalischen Nachwuchs an die Musikschulen, in der Hoffnung, dass sie dort fachmännisch fürs Blasorchester ausgebildet werden. Es wird dabei von den Vereinen übersehen, dass es auch die oben schon beschriebene reine Beschäftigung mit dem Instrument gibt, die eben nicht unbedingt zum Ziel "Orchestermusiker" führt. Die Schüler, die sich nur mit dem Instrument beschäftigen und zu wenig tun, um es richtig zu erlernen, gehen den Vereinen verloren. Wie viele das sind, lässt sich nicht in genauen Zahlen nachweisen. Aber wenn man sieht, wie viele von den Jugendlichen noch im heimischen Musikverein erscheinen, so kommt es einem doch vor, dass der Anteil derer die wegfallen sehr hoch ist.

Durch diese "Bruchstelle" verlieren die Musikvereine viele Schüler.

Fatalerweise haben die starken Jahrgänge der 80er und 90er Jahre den Blick auf diese "Bruchstelle" etwas verdeckt und außerdem war vor allem in den kleineren Gemeinden der soziale Aspekt sehr wichtig. Man hat alle mitgenommen, auch wenn die musikalische Leistung zu schwach war. Hier das richtige Maß zu finden, ist auch recht schwierig.

Aber wenn man die musikalische Ausbildung zu wenig beachtet, hat das auf lange Sicht schwerwiegende Folgen!

Man hat es einfach versäumt, eine passende Kooperation mit den Musikschulen anzustreben, um die richtige Ausbildung für die Blasorchestermusiker zu gewährleisten.

Die Bläserklassen

Statt dessen ist man auf die glorreiche Idee mit den Bläserklassen gekommen. In anderen Ländern (Amerika, Japan, Korea usw.) wird das Klassenmusizieren mit großem Erfolg praktiziert. Bläserklasse ist da Schulfach mit Zeugnisnote. Neben dem täglichen (!) Klassenmusizieren (von Montag bis Freitag) ist zusätzlich der Einzelunterricht bei einem Fachlehrer Pflicht. Außerdem wird dem Schüler auferlegt, am Wochenende ebenfalls zu Hause zu üben, weil sich das sonst negativ in der Zeugnisnote bemerkbar macht. Eben getreu der Regel, dass ein Instrument nur durch tägliches Üben zu erlernen ist. Dass dies zu Erfolgen führt, liegt auf der Hand!

Und bei uns ... ?    Ein- bzw. zwei Stunden Klassenmusizieren pro Woche, meistens ohne Einzelunterricht ...  wie soll das gehen ? ...  und am Wochenende ...? ...  und in den Schulferien ... ?

Die Ergebnisse der hiesigen Bläserklassenmethode lassen zu wünschen übrig. So nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Klassenmusizieren, wie bei uns betrieben, nicht zu den erwarteten Ergebnissen führt. Wenn jemand überhaupt von dem System profitiert, dann sind das die (allgemeinbildenden)Schulen  -  und nicht die Musikvereine.

Mangelnder Übungsfleiß der Schüler (nichttägliches Üben) führt zu Ansatzproblemen und Fehlentwicklungen, die später einen angestrebten guten Ausbildungsstand unerreichbar machen.

Und: 

-  Was passiert nach den zwei Jahren Bläserklasse ?.... 
-  Werden dann die Schüler (automatisch) zum Einzelunterricht
   an die Musikschule weitergeleitet ?.... 
-  Wie gehen die Lehrer mit dem Ausbildungsstand
   der Schüler um ? 
-  Welchen Kontakt hat der Schüler noch zu seinem
   zukünftigen Verein ?   usw ....

Fazit 

Zunachst möchte ich betonen, dass die in diesem Artikel angeführten Argumente meine persönliche Meinung darstellen. Ich akzeptiere durchaus, wenn jemand anderer Meinung ist. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass sich diese meine Meinung auf Erfahrungen von über 50 Jahre überwiegend hauptberuflicher Tätigkeit für die Blasmusik stützt!

Ich sehe die musikalische Lösung des Problems nur mit den Musikschulen. Es müssten Kooperationen angestrebt werden, die das Ausbildungsziel "Blasorchestermusiker" exakter und deutlicher definieren:

1.   Die Ausbildung der Schüler muss die oben erwähnten fachlichen Bereiche instrumentengerecht beinhalten  -  beispielsweise mittels einer entsprechenden Instrumentalschule, damit sicher gestellt wird, dass beim Notenspiel die nötigen Taktarten, Tonarten usw .. vermittelt werden!

2.   Musikvereine und Musikschulen (Lehrer) sollten engen Kontakt pflegen. Die Vereine  sollten nur die Schüler fördern, die das Ausbildungsziel "Orchestermusiker" akzeptieren und bereit sind, dafür fleißig zu üben! Diejenigen, die dieses Ziel nicht anstreben, sollten von der Förderung des Vereins ausgenommen werden und ohne Vereinsbindung auf eigene Kosten an den Musikschulen weiter unterrichtet werden. Der Verein müsste dann eventuell die so entstandene Lücke durch Nachrücker ausfüllen.

3.   Erwachsenenbildung.  Wenn keine Jugendlichen mehr zur Verfügung stehen, könnte man durch Erwachsenenbildung versuchen, die Lücken im Orchester zu schließen. Die Instrumentalausbildung bei Erwachsenen funktioniert ähnlich wie bei Jugendlichen. Meistens ist sie sogar effektiver, weil Erwachsene besser mit den Gesetzmäßigkeiten des Übens zurecht kommen. So könnten die Orchester personell schneller aufgefüllt werden. Es müsste aber sichergestellt werden, dass erwachsene Vereinsmitglieder finanziell den Jugendlichen gegenüber nicht benachteiligt sind  - also dass beispielsweise beim Unterricht die gleichen Gebühren anfallen!

Wenn man in dieser Richtung weiter denkt, gibt es sicherlich noch weitere Ideen, wie man die Misere in den Griff bekommt. Wenn nichts passiert und es wird einfach so weiter gemacht wie bisher, dann sieht es für die Blasmusik (in nicht allzu ferner Zukunft) düster aus.

Stand: September 2024

Der Autor
Manfred Horras